DESTILLIERTE ELEKTRIZITÄT
Katerina Černy im Gespräch mit Bianca Regl
KČ: Du arbeitest sowohl konkret-figurativ als auch antimimetisch-abstrakt. Welche Bedeutung haben die entgegengesetzten Begriffe von Konkretheit und Abstraktion für Dich? Für viele Maler schließen sich diese künstlerischen Ansätze immer noch gegenseitig aus. Warum nicht für Dich?
BR: Das sind Begriffe, die allen sehr eindeutig erscheinen außer mir. Wenn ich es richtig verstanden habe, sind die beiden nur durch die feine Linie der Rorschach-Frage getrennt: „Was kann ich noch erkennen?“
In meiner Praxis hat es sozusagen eine Verschmelzung dieser beiden Dinge gegeben – Teile des einen fließen in das andere über und umgekehrt. Wahrscheinlich denke ich während der Arbeit nicht zu viel über Begriffe nach. Worüber ich nachdenke, sind Betrachtungsweisen für ein Problem, wie z. B. François Jullien die chinesische Malerei beschreibt: „Auf die beschreibende Weise wird an Dynamik verloren. Was wird vom Pferd, von seinem Kraftfluss noch vorhanden sein? Wenn es kein Fell und keine Reitpeitsche gibt, bleibt auch kein Pferd mehr übrig.“
Ich habe das Malen nie als einen Weg gesehen, eine klare Botschaft zu vermitteln, im Gegenteil, ich glaube, eine der größten Stärken der Malerei ist ihre angeborene Kraft, offen zu bleiben für alle Arten von Interpretationen / Betrachtungsweisen / Arbeitsweisen. Ich schätze diese Mehrdeutigkeit nicht nur, weil sie anderswo so schwer zu finden ist, sondern auch, weil sie mir eine verschwindende Qualität zu sein scheint.
KČ: Das Studium der Alten Meister war schon immer ein selbstverständlicher Bestandteil Deiner Praxis. Dies spiegelt sich beispielsweise auch in einer Gruppe in der Reihe Setting / Rising (Movers) wider, die auf Skulpturen von Gian Lorenzo Bernini basiert.
BR: Als Kind bin ich größtenteils auf einem Bauernhof aufgewachsen, in einer stillen, arbeitsamen Umgebung, in der es keine anderen Kinder in meinem Alter gab. Ausgetrocknete Jesusfiguren in Ecken und grobes Gusseisen, das mit schweren Werkzeugen von großen Händen bearbeitet worden war. Laminatböden und dicke Keramik, der Geruch von Tieren. Der Hauch einer unangenehmen Vergangenheit in der Luft. Käthe Kollwitz und Werner Berg, gedeckte Brauntöne und all die anderen erdigen Farben.
Ich habe den Schock, den ich bei meinem ersten Besuch im Wiener Kunsthistorischen Museum erlebt habe, nie so recht überwunden. Es ist eine größtenteils barocke Sammlung – endlose Rubens, Frans Hals, Velázquez, ein Spitzen-Vermeer. Die ganzen Italiener. Sternparkette und unzählige Marmorarten prallen gegeneinander – Geld, und Macht, und Freizeit, nehme ich an, keine irdischen Mühen.
Es ist mir geblieben; irgendwo dort gibt es ein erotisch aufgeladenes Glück (das in den Rosenkranz-rezitierenden Tiefen des oberösterreichischen Hinterlandes so schmerzhaft fehlt), das ich versucht habe zu absorbieren.
Bernini ist natürlich die destillierte Quintessenz dieser Art von, nennen wir es Elektrizität. Darüber hinaus hat er auch diese Obsession mit Bewegung (die in seinem Medium offensichtlich noch schwerer einzufangen ist als in meinem), die sich für meine jüngste Serie als ganz nützlich erwiesen hat.
KČ: In einer Werkgruppe der Reihe Setting / Rising (Movers) verweist Du auf die Bewegungsstudie Woman Throwing a Shawl on Her des Fotografen Eadweard Muybridge. Du leihst Deine figürlichen Positionen zum Teil aus Fotografien, aber auch aus Skulpturen, wie in der Bernini-Gruppe. Interessanterweise gibt es hier viele Parallelen zu Francis Bacons Arbeitsweise, und auch formal sehe ich eine gewisse Nähe zu Deiner aktuellen Arbeit. Hast du diese mit Absicht gesucht?
BR: In diesem speziellen Fall nicht. Muybridge kam irgendwie von Bernini, alles sehr natürlich und simpel, da es die Bewegung war, die es mir ermöglicht hat, wieder die Figur zu malen. Dann hatte ich plötzlich diesen dummen Moment im Atelier, in dem ich das seltsame Gefühl bekam, dass etwas mit etwas Anderem verwandt ist, und plötzlich wurde klar, dass es Bacon ist, natürlich. Ich hatte ihn mir seit Jahren nicht mehr angesehen, aber irgendwie scheint es, als wäre er die ganze Zeit präsent gewesen, lauernd in der dunklen Ecke. Mit einem Glas Bourbon in der Hand vielleicht. Ich bin aber sehr froh, dass er wieder aufgetaucht ist. Ich glaube, ich hatte ganz vergessen, was für ein spektakulärer Kolorist er ist.
KČ: Du arbeitest in konzeptuellen Serien. Deine Arbeitsweise scheint mir ziemlich strukturiert und geplant zu sein. Wie wählst Du Deine Formate aus?
BR: Es macht einen Unterschied, ob man aus den Fingerspitzen, der Hand, der Schulter oder dem gesamten Körper arbeitet. Da ich ja Nass-in-Nass male und die Zeit somit begrenzt ist, baut sich der Druck mit der Größe auf. Es macht auch einen Unterschied, ob man den Rand des Bildes sieht, wenn man davor steht, oder ob man sozusagen den Horizont verliert. Seltsamerweise habe ich aber keine wirkliche Präferenz. Ich genieße den Adrenalinschub einer großen Leinwand genauso wie die Intimität eines kleinen Bildes.
KČ: Ein bestimmendes Element einiger Deiner neueren Serien ist der Bogen, der die Figuren umgibt. Was bedeutet dieser Bogen?
BR: Nun, ich beschäftige mich in meinen Bildern mit Schönheit, Haptik und Oberfläche, und manchmal ist das alles schwierig, da diese Art von Sprache oder Herangehensweise oft Werbespots oder ähnlichen Dingen vorbehalten ist – Leuten, die probieren Dir etwas zu verkaufen (wie es ja auch bei den Alten Meistern der Fall war) –, und wir haben gelernt, vorsichtig mit der Objektivierung umzugehen. In meiner jüngsten figurativen Arbeit versuche ich, Wege vorzustellen, wie dies angegangen und umgangen werden kann. Diese abstrakte Geste, diese Art von Spur, oder was Du den Bogen nennst, soll meinen Figuren helfen, sich von (passiven) Objekten zu (aktiven) Subjekten zu wandeln.
KČ: Deine Bilder strahlen scheinbar eine gewisse Harmlosigkeit aus. Bei näherer Betrachtung wird man jedoch von einem unterschwelligen Angstgefühl erfasst, das durch dunkle Assoziationen ausgelöst wird. Das Stillleben mit Granatapfel (TITEL: PASSION FRUIT) verwandelt sich plötzlich in ein Schlachtfeld. Der Fruchtsaft verwandelt sich in Blut, die zerbrochenen Früchte in einen verstümmelten menschlichen Körper. Eine Orgie der Gewalt voller Lust und Sinnlichkeit in der Obstschale. Würdest Du dem zustimmen?
BR: Ich bevorzuge es, Gewalt in der Harmlosigkeit zu finden als Harmlosigkeit in Gewalt.
KČ: Was bedeuten die Begriffe Freiheit und Willen für Dich in Bezug auf Deine Malerei?
BR: Ha! Freiheit ist ein schwieriger, sich wandelnder und auch ein missbrauchter Begriff. Ich denke, Sprache ist manchmal tatsächlich irreführender als Bilder. Wie auch immer, was meine Beziehung zur Malerei betrifft, versuche ich nicht zu viel von ihr zu verlangen, sondern nur, da zu sein und zu malen. Wenn man eine Leinwand anfängt und sich einredet – „oh, ich werde jetzt ganz entspannt, frei, ungezwungen und in einer generell wunderbaren Stimmung sein“ – na ja. Ich denke, das ist so, als würde man total aufgetakelt zu einem Blind Date laufen; nicht viele gute Geschichten beginnen so.
KČ: Kunstgeschichte aus weiblicher Sicht ist eine junge Disziplin. Jahrhundertelang war es das Privileg der Männer, Frauen darzustellen. Der männliche Blick bestimmte die weibliche Repräsentation. Was bedeutet das für Dich als junge Malerin des 21. Jahrhunderts?
BR: Marlene Dumas hat einmal gesagt, sie hätte mehr aus der Kunstgeschichte gelernt als aus der Tatsache, eine Frau zu sein, und das sehe ich größtenteils genauso. Ich kann ehrlich gesagt nicht behaupten, dass ich den männlichen, oder überhaupt einen anderen Blick als meinen eigenen verstehe. Aber ich kann es mich genießen lassen, Bonnard (zum Beispiel) anzusehen, wie er eine Frau ansieht. Die Vergangenheit kann man nicht ändern, und dies ist eine sehr komplizierte Frage ohne eine einfache Antwort. Auf jeden Fall glaube ich nicht, dass ich mich ausschließlich mit der Politik des Körpers befassen muss, nur weil ich eine Malerin bin.
KČ: In einigen Deiner Arbeiten spüre ich die Unnachgiebigkeit Deines Blickes, der eindringt und fixiert. Das Objekt kann dir nicht entkommen, du siehst es Dir an und hältst es auf der Leinwand fest, als wäre es Dir ganz ausgeliefert.
BR: Ich bin eine surrepetitive Malerin, und für mich geht es beim Malen ums Sehen. Ich glaube, der Maler sollte Voyeur sein und die Augen länger auf etwas richten als sonst jemand. Ich starre in U-Bahnen. Ich starre Obst an. Ich verbringe viel Zeit mit Starren. Irgendwie klammert sich auch mein Gedächtnis am ehesten an Formen und Farben. Hannah Arendt hat gesagt, dass Zerfall ein Prozess der Kristallisation ist, und ich denke, das gilt nicht nur für die physische Welt, sondern vor allem für die Erinnerung. Fragmente von Erinnerungen, die im Meer lauern, werden zu Diamanten, die auf Samtkissen sitzen.