Himbeereis mit Fragonard
Katerina Černy im Gespräch mit Bianca Regl
Katerina Černy: Du bist es gewohnt, Deine Zelte an immer neuen Orten aufzuschlagen und reist mit leichtem Gepäck – mit Ausnahme deiner Bücher. Wann und wo immer man dich trifft gibt es ein Buch, das dich in dem Moment in seinen Bann gezogen hat, so wie gerade der Briefwechsel der Postimpressionisten Pierre Bonnard und Édouard Vuillard oder die Tagebücher von Maria Lassnig. In welcher Beziehung stehen Sprache und Malerei für dich?
Bianca Regl: Literatur ist ein sehr schöner, wenn nicht gar idealer Begleiter von Malerei, finde ich. Am liebsten habe ich ja Romane. Man kann soviel lernen aus ihnen: nicht im Sinne narrativer Darstellungsanweisungen sondern in der endlosen Vielfalt stilistischer Möglichkeiten. An Reinhard Jirgl oder Antonio Lóbo Antunes zum Beispiel kann man so wunderbar sehen, wie sich verhaltene Grundfarben plötzlich zu pompösen Verschlingungen verdichten; die Natur von Halldór Laxness sprengt den Buchdeckel wohl kaum weniger als die von Caspar David Friedrich ihren Goldrahmen.
Prinzipien von Leere und Masse, Größen von Gesten, Differenziertheiten, Lautstärken – so viel Wunderbares. Gute Freunde haben mich allerdings auch schon mit fetttriefenden, verschnörkelten Schunddingern gesehen, die man auf Reisen am besten in Alufolie einpackt.
KČ: Ende 2009 führte dich ein dreimonatiges Artist-in-Residence-Stipendium nach Beijing. Seit 2010 leitest du dort gemeinsam mit der Künstlerin Anna Hofbauer den erfolgreichen Blackbridge Offspace. Wie kam es dazu und welches kuratorische Konzept verfolgt ihr dort?
BR: Ursprünglich war Blackbridge als ein einjähriges Projekt gedacht, um die Beijinger Kunstszene und die Methoden einzelner Künstler besser kennenzulernen und, was es bis heute geblieben ist, als eine Möglichkeit für uns, uns beide auch nach einem akademischen Studium noch weiterzubilden. Außerdem hatten wir die damalige „Dichte“ von Artist-Run-Spaces, nämlich nur zwei erwähnenswerte nichtkommerzielle Räume in einer der großen asiatischen Kunstmetropolen, als Leerstelle wahrgenommen. Der Enthusiasmus, der Blackbridge Offspace entgegengebracht wurde und wird, hat uns natürlich gezeigt, dass wir nicht die einzigen waren, die so empfunden haben.
Unser Raum funktioniert mit einer curated-by-Strategie. Das heißt, dass wir für jedes Ausstellungsprojekt einen neuen Künstler-Kurator suchen, den wir dann bei seinem Projekt begleiten. Dadurch haben wir ein sehr heterogenes Programm und werden selbst noch oft überrascht. Natürlich versuchen wir den Raum so zu leiten, wie wir uns als Künstlerinnen den idealen Rahmen vorstellen würden, um unsere Arbeiten, oder solche, die uns nahestehen, vorzustellen. Das bedeutet im Normalfall auch begleitende Gespräche und Symposien.
KČ: Während deines Studiums in Wien, Berlin und Los Angeles hast du schon Projekte kuratiert und Ausstellungsräume initiiert und geleitet. In wie weit unterscheiden sich deine Erfahrungen von jenen, die du als Kuratorin in Beijing gemacht hast?
BR: Wahrscheinlich am ehesten durch die Tatsache, dass ich älter geworden bin (lacht).… Ich weigere mich aber, die Unterschiede in den Erfahrungen an verschiedenen kulturellen Hintergründen festzumachen. Natürlich war es in Beijing schön zu sehen, wie sehr sich Künstler eine Plattform außerhalb des Marktes und auch Kontakt zu internationalen Künstlern gewünscht hatten und dann dabei zu sein, wenn diese Energie freigesetzt wird.
Was ich gelernt habe ist, dass es sehr viele Methoden gibt, künstlerische Arbeit zu betreiben, und dass sich diese viel eher an Charakteren als an Orten festmachen.
Außerdem bin ich vor allem Malerin, die ihre Arbeit gern in einem sinnvollen Umfeld positionieren will, und nicht jemand auf der Suche nach unterschiedlichen Trends zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten. Mich interessiert, wie Arbeiten Bezüge zueinander finden, und natürlich im Endeffekt auch, wohin sich meine Arbeit beziehen kann. Dabei hilft es mir, meine eigenen Ausstellungen zusammenzustellen, mich also selbst zu kontextualisieren, und auch ähnliche Bemühungen anderer zu begleiten.
KČ: Du sprichst von der Bedeutung des Austauschs mit Künstlerkollegen für deine eigene künstlerische Arbeit. Ebenso wichtig ist für dich aber auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Malerei. Der Serie „Fold“ etwa liegen Ausschnitte von Gemälden Gerrit Douws, Tintorettos oder DaVincis zugrunde und sie zeigen Draperien aufwendig gemusterter Brokatstoffe. Welche Bedeutung haben die Alten Meister für dich und deine Arbeit?
BR: Ohne ihre Geschichte kann die Malerei, so finde ich, nur schlecht funktionieren.
Man stellt sich als Malerin schon gerne vor, wie man in einer Gruppe von verschiedenen Malern in der Bar sitzt, ein Kreis von Freunden und Bekannten, von denen man manche mehr, manche weniger gern hat. Natürlich mag man sie aus den unterschiedlichsten Gründen. Manche mag man, weil sie einen amüsieren – mich Rembrandt. Wie er sich herausnimmt, sich selbst zu portraitieren, wieder und wieder; solange, bis er in seinen eigenen Bildern von der Farbe verschluckt wird (lacht) …
Manche mag man, weil sie einen in der Runde besser kennen, den man sich selbst nicht wirklich anzusprechen getraut … wie Cézanne Delacroix und der dann Veronese vielleicht; den grantigen Alten nimmt man in Kauf weil er den klugen Dandy kennt, der einem vielleicht den frischen Tageslichtliebhaber vorstellen kann. Wieder andere mag man einfach deswegen, weil man sie so sehr bewundert. Himbeereis mit dem alten Fragonard zu essen ist zum Beispiel noch so ein Tagtraum von mir. Oder Zoobesuch mit Jan Brueghel dem Jüngeren. Haus des Meeres mit Jan van Kessel.
Bei wieder anderen Malern hat man ohnehin ab dem ersten Moment das Gefühl, man sei mit ihnen verwandt; das freut einen gelegentlich, und bisweilen ist es Anlass zum Entsetzen.
So oder so ist Malen immer ein Dialog mit anderen Malern. Sie dann auch geradeheraus zu zitieren ist mir beim ersten Mal sehr mutig vorgekommen, ungefähr so wie den heiligen Gral anzufassen. Man bekommt ja auf den zentraleuropäischen und amerikanischen Akademien so eine Erfahrung nicht beigebracht, im Gegenteil. Plötzlich musste ich mir dann überlegen, was noch zu tun ist, wenn gewisse Problemstellungen schon gelöst sind.
KČ: Du sagst, Malerin zu sein bedeute, Nostalgikerin zu sein.
BR: Der eben erwähnte Dialog verrät es, denke ich, schon. Der Gamedesigner von heute sitzt vermutlich nicht mit imaginären Geistern in fiktiven Nachtlokalen.
KČ: In den letzten Jahren hast du dir ein neues motivisches Feld erarbeitet. Wie die Serie „Fold“ so lassen sich auch die Serien „Untitled (Brocade)“, „Untitled (Waterfall)“ oder „Untitled (Metallic Midnight)“, in denen ein bildfüllendes, teils florales Tapetenmuster in deinen Fokus rückt, der neuen Werkgruppe von Ornamenten zuordnen.
Du arbeitest parallel gegenständlich-figurativ und anti-mimetisch abstrakt. Rosalind E. Krauss sagt über das Raster, das auch deinen „Musterbildern“ zugrunde liegt, es erkläre die Kunst zu einem Raum, der autonom und selbstzweckhaft ist. Stimmt das auch in Bezug auf deine Arbeit und welche Rolle spielen für dich die gegensätzlichen Begriffe Gegenständlichkeit und Abstraktion?
BR: Ja, das sind Begriffe, die jedem einzuleuchten scheinen, nur mir nicht. Wenn ich das richtig verstanden habe, liegt zwischen den beiden nur der schmale Grat der Rorschachfrage: “Was erkenne ich da noch?” Und den Raum zwischen den Keilrahmen erfahre ich immer als autonom. Wahrscheinlich denke ich beim Arbeiten auch nicht allzu viel über Begriffe nach. Worüber ich schon nachdenke sind Problemstellungen wie zum Beispiel eine, mit der François Jullien die chinesische Malerei beschreibt: “Deskriptiv geht der Schwung verloren, was bleibt vom Pferd, von seinem Kraftfluss? Gleichzeitig bleibt, wenn es kein Fell und keine Reitgerte gibt, kein Pferd mehr übrig.”
Es hat mich selbst etwas verwundert, wie hart es für mich war, mir und anderen gegenüber durchzusetzen, dass in meiner Arbeit mehrere stilistische Lösungen parallel laufen dürfen. Aber genau das ist es ja: sie verlaufen parallel, und nicht entgegengesetzt.
Bei Matisse nennt man die Arabesken ja übrigens zuweilen die synthetische Stilperiode, so gefällt mir das viel besser.
KČ: Warum “For the mouth is the sunset of the face”?
BR: Das ist ein abgewandeltes Zitat von Francis Bacon, der so gerne Münder gemalt hat, weil sie ihn in ihrem Glitzern an Sonnenuntergänge erinnert haben. Im Prinzip geht es dabei um eine Themenstellung ähnlich der der vorigen Frage: Wenn ich einen Baum male, muss er aussehen wie ein Baum? Muss sich der gemalte Baum beim Malen anfühlen wie ein Baum? Muss sich der Maler fühlen wie ein Baum? Ich würde sagen, dass das eine massive Einschränkung wäre.
KČ: In „Atheist Sky“ sehen wir Himmelsbilder mit sich im Sonnenuntergang dramatisch auftürmenden Wolken und daraus hervorbrechenden Sonnenstrahlen. Die Bilder haben ein inneres Leuchten und wirken wie Materialisierungen von flüchtigen Momenten überwältigender Schönheit. Dieses innere Leuchten findet sich auch in späteren Serien wie „Untitled (Sapphire Wallpaper)“, „Untitled (Grapes)“ oder „Untitled (Cloudy Azure)“ wieder. Man könnte sagen, es ist charakteristisch für deine Malerei. Was hat deinen Umgang mit Licht und Farbe beeinflusst?
BR: Jeder Maler erkennt irgendwann die Notwendigkeit, ein Verständnis für die Funktion der Farbe im Bild zu entwickeln.
Bridget Riley hat einmal in einem Aufsatz über relationale Farbe bei Tizians L’Assunta geschrieben, das war tatsächlich eine Offenbarung. Es ist auch etwas, was mich seither beschäftigt – in einem Bild mit einer Farbe so umgehen zu können, dass man sie überall hin mitnehmen kann, dass sie im ganzen Bild funktioniert. Und trotzdem die volle chromatische Spannweite zu erreichen. Oder umgekehrt ein Bild so aufzubauen, dass man am Schluss das leuchtende Türkis setzen kann und trotzdem die Harmonie nicht verloren hat.
Das Licht ist, denke ich, inhärenter. Ist auch mein erstes Wort als Kind gewesen: Licht. Außerdem mag ich es, wenn es funkelt.
KČ: Sprechen wir über deine Arbeitsweise. Worin bestehen deine Methoden der Bildfindung und Farbkomposition und wie würdest du deine Arbeit im Atelier beschreiben?
BR: Das nächste Bild ergibt sich ja meist aus dem vorhergehenden. Ich beschäftige mich schon immer mit den alten, großen Themen der Malerei; Stillleben, Portraits, ein paar Landschaften. Bei Malerei geht es aber für mich am ehesten um die Spannung zwischen Oberflächen und die Lösungen für diese Oberflächen. In den letzten Jahren habe ich bestimmt auch versucht, mich auf diese Spannung zu konzentrieren und andere Inhalte ganz auszublenden.
Ölfarbe ist ja das Material, mit dem ich mich im Atelier hauptsächlich umgebe. Ich habe eine schematische Vorgehensweise entwickelt, um die Palette anzusetzen. Dabei versuche ich, ein Spektrum von Tonwerten aufzubauen, in dem gleichzeitig jeder Wert einen Teil jeder Farbe enthält. Das hat sich aus den Bildern ergeben, die einen monochromen Hintergrund haben; der Hintergrund war idealerweise immer schon die Summe der Teile, sozusagen. Jetzt versuche ich das in jede Farbe im Bild zu holen. Das Anmischen der Farben ist dadurch zu einem sehr bestimmenden Teil der Arbeit an einem Bild geworden.
Ölfarbe als Material hat eine wunderbar sinnliche Seite, aber natürlich verwandelt sie sich sofort in bösen Schmutz, sobald man sich dieser hingibt. Man kommt nicht so ungeschoren davon als wenn man den Zeigefinger in den Tortenteig steckt.
Das wirklich Großartige an ihr ist aber ihre Wandelbarkeit, die mir erst langsam in ihrer gesamten Tragweite bewusst wird. Ich bedaure mittlerweile die Maler, die sie in einer immer gleichen Art und Weise behandeln – man tut ihr damit unrecht, finde ich.
Die Arbeit im Atelier ähnelt sich bei mir nicht von Tag zu Tag, deswegen fällt es mir schwer, sie genau zu beschreiben. Jeder Moment hat seine eigene Verfassung.
KČ: Was ist das Wesen der Malerei?
BR: Ich versuche, etwas Schönes zu schaffen. Ich weiß, dass einem dafür heutzutage gleich auf die Finger geklopft wird, mit der tadelnden Bemerkung, dass man ja für den Markt malen würde. Und die eigene Umgebung als ästhetisches Phänomen wahrzunehmen ist laut Susan Sontag die Definition von Kitsch. Es ändert nichts.
Die Großartigkeit in Velazquez zum Beispiel liegt für mich nicht in der Bedeutung, die es hat, wenn ein Mönch ein Buch liest, sondern in dem Vergnügen des Malers, wenn er die Seiten dieses Buches ausführt. Das Flattern eines Kragens, das schnelle Schimmern einer Perle, das Erzittern einer Haarlocke, alles mit dem größten Selbstbewusstsein durchgeführt, das sind die Gründe, warum ich Malerei mag. Erotik also, wahrscheinlich.
An das Wesen kommt aber eher ein Satz in einem Brief von Seurat an Signac nach seiner Fertigstellung von La Grande Jatte, den auch Riley zitiert: “Verstehe überhaupt nichts mehr. Alles Kleckserei – ermüdende Arbeit.” Man macht trotzdem weiter. Malerei befolgt keine Gesetze, die das Leben nicht auch befolgt. Leider ist sie ziemlich eigenständig und hat kein besonderes Interesse daran zu gehorchen. Wie der abtrünnige Ehemann, befürchte ich. Man hat beständig das Gefühl, gut geschminkt sein zu müssen für ihn, damit er nicht mal schnell Zigaretten holen geht.