Österreichische Gegenwartskunst in Dortmund
Museum am Ostwall, 20.05.2008 | Von Ralf Stiftel
KUNST Österreichische Gegenwartskunst in Dortmund
Museum am Ostwall bietet einen Querschnitt durch die Sammlung Essl
Ironisierte klassische Pose: Ronald Kodritschs Gemälde ´Halbgott in Blond´. J
Fotos: Museum
DORTMUND Dem klassischen Schönheitsideal entspricht der “Halbgott in Blond” nur bedingt, obwohl er Amors Pfeil und Bogen doch so lässig hält. Strähnig wie Spaghetti hängt das Haar. Der dunkle Schnauz lässt vermuten, dass die Farbe nicht authentisch ist. Das kompensiert der überreife Liebesbote mit Leibesfülle, die sich unverhüllt dem Auge darbietet. Welcher Kontrast erst liegt zwischen der Hand mit feminin manikürten Fingernägeln und dem großen, dunklen Gemächt! Ein Wohlstandsmensch Mitteleuropas füllt die antike Pose, und das Bild, das Ronald Kodritsch 2003 davon malte, ist durchaus erheiternd.
Es hängt in der Ausstellung “Komplex” im Dortmunder Museum am Ostwall, ein Beispiel österreichischer Gegenwartskunst aus der Sammlung Essl. Seit 35 Jahren sammeln Karlheinz und Agnes Essl zeitgenössische Kunst, bis zum Mauerfall nur Werke österreichischer Künstler. Das Kapital erwirtschafteten sie mit einer Baumarktkette, aber beide stammen aus künstlerisch interessierten Familien. So sammeln sie Werkgruppen, suchen Kontakt zu den Künstlern. Rund 6000 Arbeiten umfasst ihre Sammlung, die inzwischen in einem eigenen Museum in Klosterneuburg bei Wien zu sehen ist. In Dortmund sind 63 Werke von 34 Künstlern zu sehen, vor allem Malerei, die auch, so Kurator Andreas Hoffer vom Essl Museum, mehr als in anderen Ländern von österreichischen Künstlern betrieben wird.
Die Schau bietet keinen repräsentativen Querschnitt, sondern einen Gang durch die Entwicklung seit etwa 1960, den Vorlieben der Essls folgend, aber mit Positionen, die oft bereits international anerkannt sind. So sieht man frühe Arbeiten von Friedensreich Hundertwasser und Bilder von Hans Staudacher zwischen Kalligraphie und Informel am Anfang. Einen eigenen Saal füllen große Werke von Hermann Nitzsch, die für sein blut- und farbvergießendes Spiel mit religiösen Motiven stehen. Über das “Malhemd” ergossen sich Ströme von Rot, es ist objekthaft in einem kreuzförmigen Kasten montiert. So hat man die Anmutung einer Kreuzigung, einer geopferten Figur, was natürlich auf die aufwändig inszenierten Kunstaktionen Nitzschs verweist. Man findet auch ein Kreuz-Bild von Arnulf Rainer und von Adolf Frohner eine brachiale Komposition mit dem sprechenden Titel “Raupenfresser und Schmetterlingsscheißer” (1993). Eine Fotoserie dokumentiert den “Wiener Spaziergang”, bei dem sich der Aktionist Günter Brus 1965 in Farbe getränkt durch die Stadt bewegte.
Viele Österreicher lieben den breiten Pinsel, den expressiven Farbfluss. Daneben gibt es eine Gruppe mit drei Symbolbildern von Maria Lassnig, die 2002 den Rubenspreis der Stadt Siegen bekommen hat. Als “Quelle der Weisheit” (1989/90) malt sie ein Brunnenbecken mit menschlichen Beinen, einen verfremdeten Unterleib, auf dem eine Eule hockt. Christian Ludwig Attersees Pop-Gemälde zeigt “Dinge” als neonbuntes Schriftbild. Es gibt das Gemälde “Isoth.!”, in dem August Walla einen Code aus Figuren und Schrift schuf. Der bekannte Vertreter der Art Brut lebte bis zu seinem Tod 2001 in psychiatrischer Behandlung in Gugging. Erwin Wurm ist mit einem “fetten” Auto als Acrylskulptur vertreten. Und es werden kühle quadratische Kompositionen zwischen Konzept und Konkret des documenta-Teilnehmers Gerwald Rockenschaub gezeigt.
Neben diesen bekannten Positionen sind auch Arbeiten junger Künstler zu finden, die sich wieder mehr der Figuration, ja erzählerischen Formen zuwenden. Besonders die Malerinnen bieten frische Impressionen wie Bianca Maria Regl, die ihren “Adam2” (2005) fast lebensgroß im Pool treibend zeigt. Das Duo Muntean/Rosenblum greift auf Darstellungsmittel des Comics zurück in seinem Bild ohne Titel von urbanen Jugendlichen.