Günther Holler-Schuster
ZUR MALEREI VON BIANCA REGL
Sicher, die grossen Entscheidungen innerhalb der Malerei sind längst getroffen worden. Gegenständlichkeit und Abstraktion sind erfolgreich voneinander getrennt worden – schliessen einander aber spätestens seit Gerhard Richter auch nicht mehr aus. Dass ich malerischen Akt Dramatik liegt, die bis zum Performativen oder zum Aktionisimus reichen kann, hat sich spätestens seit dem Action Painting durchgesetzt. Dass ein Gemälde letztendlich auch ein Objekt ist, hat die Minimal Art erkannt und die Pop Art im Detail variiert. Ebenso die Tatsache, dass ein in einem anderen Medim geschaffenes Bild wiederum im Kontext der Malerei rezipiert werden kann, indem man es selbst zum Motiv macht, ist eine etablierte Strategie. Von der Pop Art über Gerhard Richter bis zu den unzähligen abgemalten Fotos und Medienbildern innerhalb der realistischen Malerei der Gegenwart ist das zur Selbstverständlichkeit geworden. Sogar die Tatsache, dass man unter Malerei heute nicht nur ein Bild, das mit traditionellen Mitteln (Methoden oder Materialien) hergestellt wurde, versteht, ist nicht neu. Man muss – der Avantgarde folgend – nicht mehr zum Pinsel greifen, um von einem malerischen Vorgang sprechen zu können. Man könnte sagen, die Malerei hat sich innerhalb bzw. durch die Konstruktion der Moderne aufgelöst. Wozu also malen – das Rad neu erfinden?
Nicht nur aus ökonomischen Überlegungen heraus wird trotzdem gerade heute auffällig viel gemalt. Die Malerei stellt sich in einer ungemeinen Vielfältigkeit dar und entwickelt ständig neue Möglichkeiten und eröffnet neue Zugänge zur menschlichen Wahrnehmung. Zweifellos bilden die zuvor genannten Aspekte ein grobes Netz, das eine Fläche abdeckt. Jedoch bedarf es nach all diesen heroischen Leistungender Detailklärung, der Zwischentöne, womit das Netz engmaschiger wird. Bis dahin unausgesprochene Facette werden nun angesprochen oder aus dem Blick der Gegenwart nocheinmal formuliert und ergeben neue Sichtweisen.
Bianca Regl malt sehr einfache, nahezu unauffällige Motive. Menschen, Freunde und Freundinnen in beiläufigen Posen, deren Zusammenhänge vertraut erscheinen. Sie malt Gegenstände, Dinge des Alltags, Fische mit glänzenden Schuppen, diverse Mehlspeisen mit dem dazugehörenden Besteck in sehr raffinierter, verblüffender Technik. Der Geschmackssinn wird zusätzlich zum Sehsinn herausgefordert. Alles in allem handelt es sich dabei um ein Vokabular eines kollektiven Bewusstseins, in dessen Klischeehaftigkeit sich gleichzeitig auch Chiffren für individuelle Sehnsüchte spiegeln. Paradoxerweise wird Intimität gerade in der Distanz erfahrbar und zeugt vom Interesse und der Fähigkeit der Künstlerin, das Verbrauchte neu zu sehen. Genau hier liegt auch eine der Stärken des Mediums Malerei – ein Faktum, das sich jahrhundertelang zurückverfolgen lässt und bis zum heutigen Tag gültig geblieben zu sein scheint. Das Bild gibt der Wirklichkeit einen Zuwachs an Sein. Es macht das Alltägliche besonders – erst überhaupt erwähnenswert. Nachdem es in der Gesamtheit der bildenden Künste eine Hierarchie gegeben hat bzw gibt, die immer noch wirksam zu sein scheint, steht die Malerei zusammen mit der Plastik immer noch – bewusst oder unbewusst – an oberster Stelle. Somit ist das Gemälde das am besten geeignete Medium, diesen Zuwachs an Sein zu ermöglichen. Man könnte streiten, ob nicht gerade in den heutigen Tagen das Bild des Films und der Massenmedien diese Funktion übernommen haben. Was nicht in den Medien vorkommt, exisitert nicht. Diese Darstellung ist mit der Malerei nur bedingt vergleichbar, da die Malerei in dem Zusammenhang sich nicht auf die grundsätzliche Existenz bezieht. Sicherlich ist das in den Medien erschienene Bild auch mit einem gewissen Mehrwert verbunden. Dieser gehört aber eher in den Bereich der Distribution und trägt nicht in demselben Ausmass zur gleichsam kulturellen Veredelung bei, wie es die Malerei auch heute noch zu leisten im Stande ist.
Man könnte folgern, was nicht gemalt ist, besitzt weniger kulturelle Wichtigkeit. Was sich sehr elitär und traditionell anhört, lässt sich an einem Beispiel veranschaulichen: Eine Ansammlung von frischen Erdbeeren (bei Bianca Regls Bildern sind es Himbeeren und Kirschen) in einem kunstvoll geflochetenen Körbchen wird durch die Stilllebenmalerei (bspw bei Jean Simeon Chardin) zur Besonderheit und bekommt sogar eine tiefe Bedeutung zugeordnet. Die Erdbeeren sind zum Bild geworden und somit zum Inbegriff einer zwar unscheinbaren, aber bemerkenswerten Atmosphäre. Wenn das Behältnis mit den Früchten dann noch eine gewisse Delikatesse in der künstlerischen Umsetzung erfahren hat, kann man sich des Mehrwerts an Besonderheit nicht mehr entziehen. Ein derartiger Prozess scheint sich der Diskussion zu entziehen, ob sich das innerhalb einer Entwicklung im Sinne einer Avantgarde auf eine nächsthöhere Stufe zu stellen im Stande ist. Man kann sich – um noch einmal auf die Erdbeeren zurückzukommen – von diesen heute vielfache Darstellungen machen. Das Spektrum kann vom Foto beginnend bis zum Werbebild einer Kaufhauskette, die besonders frisches und dem natürlichen Kreislauf nahestehendes Obst anbietet, reichen. Somit gibt es konsequenter Weise auch den Platz für das gemalte Bild – damals (klassische Stilllebenmalerei) wie heute (neue figurative Malerei). Diese gegenwärtig praktizierte Malerei – Bianca Regl ist eine eminente Vertreterin – basiert im Wesentlichen auf der Tatsache, dass sie auf bestehende Bilder und Bildvorstellungen aufbaut. Medienreflexivität ist dabei das entscheidende Schlagwort. Jedoch empfiehlt es sich zunehmend, die gesamte Geschichte des Phänomens Bild zur Bewertung des Gegenwärtigen heranzuziehen. Im Bewusstsein dieser langen Entwicklung werden die heute gemalten Erdbeeren erneut besonders. Hatten sie in der klassischen Stilllebenmalerei noch einen völlig anderen sozialen Gehalt und damit auch eine unterschiedliche künstlerische Motivation im Hintergrund, so bleiben sie wohl auch heute darstellenswert. Die soziale Dimension ist es wohl auch, die sie besonders macht. Es ist heute nicht so, dass man sich selbst exotische Früchte nicht leisten kann – zugänglich machen kann. Das spricht für deren Banalität und lässt sie als Motiv beiläufig erscheinen. Jedoch kann man sich der Sinnlichkeit und der geniesserischen Lust nicht entziehen, die letztlich erst von ihnen als Bildmotiv ausgeht. Die Malerei als Medium – in den 1980er Jahren wurde das zelebriert – knüpft an diese hedonistische Komponente an. Gemaltes ist immer noch sinnlicher erfahrbar und mit mehr Exklusivität verbunden, als andere Formen der Bilderzeugung. Diese Tatsache scheint, trotz aller Theorie und trotz aller Bezüglichkeit zur Konstruktion Moderne, Gültigkeit zu haben.
Die Pop Art hat in ihrer Beschäftigung mit den Trivialitäten des Alltags beides in sich vereint. Einerseits den kritischen Anspruch in Bezug auf die Fetischierung der Warenästhetik, andererseits aber nahm sie auch Rücksicht auf die Tatsache, dass das Klischee authentische Bedürfniskomponenten enthält, die, von ihrer manipulativen Funktion getrennt, das Klischee originell erscheinen lassen. Das trivial Schöne und Klischeehafte fordert den Lustanspruch heraus und gibt ihm zugleich Raum. Dieser Lustanspruch hat seine Herkunft in den kannibalischen Triebregungen, die offensichtlich durch einen Sublimierungsvorgang auch einer der wesentlichen Aspekte des eingangs erwähnten Mehrwertes an Sein durch die künstlerische bzw malerische Darstellung.
Bianca Regl muss sich nicht mehr primär um Kritik am manipulativen Charakter der Trivialität und am Glanz der Oberfläche bemühen. Diese ist als Folie im Hintergrund ohnehin in ihrem Bewusstsein, also auch in dem des Rezipienten vorhanden. Man kann heute ohnehin kein Bild anschauen und erleben, ohne die Erfahrung mit anderen Bildern gemacht zu haben. Genauso wenig kann man letztlich malen ohne die Erfahrung der Konzeptkunst, oder in der Folge, ohne die Erfahrung der unterschiedlichen Medienbilder gemacht zu haben. “We see painting differently since film and video” (David Reed). Wie die meisten Künstlerinnen und Künstler ihrer Generation setzt sich auch Bianca Regl bewusst vielen Bildern aus – ob das nun Medienbilder sind, oder Fotos aus dem privaten Fotofundus – und versucht sie durch ihre Malerei zu filtern. Somit wird eine Malereiausstellung auch ein sanfter Kontrast zu einer zunehmenden Reizüberflutung, der wir täglich ausgesetzt sind. Gegenüber einem Kino, einer Videothek, einer Illustrierten oder gar dem Fernsehen ist eine Malereiausstellung grundsätzlich ein Ort, an dem wenig passiert – man bringt ohnehin seine eigenen Bilder, die man ständig in sich trägt, mit. Die Malerei hat längst von den technischen Medien gelernt. Wenn man akzeptiert, dass es die technischen Medien gewesen sind, die jenen Zustand der Moderne erst herbeiführten, in dem die Oberfläche der Welt identisch wird mit einem bildnerischen Kontinuum, so muss man das heute erst recht für die Malerei beanspruchen – ja sogar von ihr fordern. Erst dann setzt das freie Gleiten über das Sichtbare oder sichtbar Gemachte ein, das sich an jeder Stelle zu einem Bild verfestigen kann.
Die scheinbar unbekümmerte Art, mit der vorgefundenen Welt umzugehen, sie letztlich in ein stimmungsvolles Licht zu tauchen, den Mehrwert an Sein herauszufordern und den Betrachter aufgrund der virtuosen Technik gleichsam zu verführen, verbindet Bianca Regl in ihren Bildern auf verblüffende Weise. Natürlich ist es eine inszenierte Realität, die sie uns gegenüberstellt. Sie appelliert aber darin an die Unausweichlichkeit der Inszenierung, die bei jeder Festlegung auf ein Bild stattfindet. Baudrillard hat die Feststellung getroffen, dass die Bilder der Medien mächtiger und wirklicher geworden sind als die Wirklichkeit selbst. Wir müssen das erweitern und auf die Gesamtheit der Bilder anwenden. Somit bekommen Bianca Regls Bilder von Fischen, Früchten und Menschen im Swimmingpool eine neue Dimension, die letztlich in der Art der Darstellung bzw. in der virtuosen Behandlung des Materials mitbegründet ist. Noch lange vor dem medienkritischen Diskurs der letzten Jahrzehnte hat Marcel Proust darauf bestanden, dass die Grösse eines Kunstwerkes letztlich nicht auf den vermeintlichen Qualitäten seines Stoffes, sondern ausschliesslich auf der Ausarbeitung desselben beruht und dass praktisch alles zum Thema eines Kunstwerkes werden kann.