Dialektische Malerei

Die in der Malerei seit Manet mitunter explizit gemachte, eigentlich aber jedem Bild inhärente Dialektik von Darstellung und Dargestelltem erfährt selten eine so genussreiche Auflösung wie in der Malerei von Bianca Regl. In der Unmittelbarkeit, in der sich an ihren Bildern die Freude am Tun, an Selbstwirksamkeit ausdrückt, und in der Deutlichkeit, in der uns Regls fluide Pinselschrift einen Nachvollzug derselben ermöglicht, stellt sich die Künstlerin in eine Traditionslinie, die über Manet hinaus noch unter anderem an Velázquez oder Hals vorbeiführt. 

Beide in der Ausstellung „Above the Night“ vertretenen Bildgenres – Stillleben und Selbstporträt – prädestiniert schon der leise Widerspruch, der aus ihren Namen klingt, als ausgezeichnete Konfliktfelder für den Widerstreit von Bild und Gegenstand. In ihrer Privatheit empfehlen sie sich einem experimentellen Umgang mit den bildnerischen Mitteln obendrein als eher intime Laboratorien.

Beim Begriff „Stillleben“ oder seinen romanischen Varianten (frz. nature morte, ital. natura morta) ist die Gegenläufigkeit seiner Teile offensichtlicher. Ein Still- oder Tot-Sein gehört nicht zu den ersten Assoziationen von „Natur“ oder „Leben“. Der Gattungsname ist eigentlich riskant, scheint mit einem außerordentlichen Glück beim Festhalten der Dinge zu rechnen, damit nämlich, dass es die Darstellung schafft, die dargestellten Dinge bei aller Reglosigkeit dennoch lebendig oder natürlich im Bild erscheinen zu lassen, was im Laufe der Kunstgeschichte zunächst im präzisen Erfassen der involvierten Oberflächenstrukturen bzw. Lichtbrechungen und Körperlichkeiten versucht wird und dann zunehmend auf die Reflexe, auf etwas Atmosphärisches und dementsprechend auch auf Momenthaftes abzielt. Immer weniger sind es die Dinge selbst, immer mehr wird es der auf sie geworfene Blick, der eigentlich dargestellt ist, womit die Lebendigkeit des Ergebnisses nicht länger von den an sich toten Objekten abhängt, sondern von deren blickmäßiger Anverwandlung. 

Die damit ins Spiel gebrachte Verunklärung des Verhältnisses von Subjekt und Objekt ist beim Selbstporträt noch schlagender, weil hier die darstellende mit der dargestellten Person in eins fällt: Sie zieht sich also selbst ans Licht (lat. protrahere) und stellt sich dabei gewissermaßen zweimal dar: syntaktisch und semantisch, im Handeln und Endeffekt, in Handschrift und Inhalt. Das Selbstporträt ist, könnte man sagen, ursächlich immer schon so, wie die Kunst der Moderne sein will: genuin selbstbezüglich. Wie nirgends sonst kann das Bild hier über sich hinaus verweisen und gleichzeitig bei sich bleiben, jedenfalls bis sich der vormoderne Widerspruch von Abstraktion und Gegenständlichkeit auflöst. So lange bleiben auch Bianca Regls Bilder beim Motiv.

Bianca Regls Selbstporträts und Stillleben kosten den Mehrwert der mithin angesprochenen Synthesen von Subjekt und Objekt, Tod und Leben aus, indem sie den in ihnen enthaltenen Paradoxien mit einer ebenfalls paradox anmutenden Methodik begegnen. Einerseits scheint das Hineinzoomen ins Motiv oder seine Vergrößerung auf ein näheres Erkunden des Bildgegenstandes aus zu sein, und das in Serie, in leicht verschobenen Hinsichten, die zusammen ein filmisches, wackelndes Standbild ergeben mögen. Andererseits wirkt die von Regl für jede ihrer Werkgruppen eigens und sehr bedachtsam gewählte und dabei stets um wenige Töne kreisende Palette und das in ihr zum Ausdruck gebrachte Auf- oder Abblenden wie ein Filter, der das Bild davor bewahrt, zu viel Wirklichkeit widerspiegeln zu müssen. Während das Fokussieren auf Details dem Ergründen von Seins- und Gemütszuständen folgt, bringt die Reduktion auf eine sich zwischen wenigen, einander nahen Farbtönen abspielende Melodik mit einem Hang zum Monochromen das Bild als Ort der Auseinandersetzung von Pinselschrift und Entropie ins Spiel. Je näher das Bild seinem Gegenstand kommen will, desto mehr scheint dieser sich dem Blick entziehen zu wollen, wenn sich nicht überhaupt aufzulösen. 

Auch wenn die Wahrheit woanders liegen mag, wie uns der Titel von Bianca Regls Selbstporträt-Serie nahelegt, ist ihre Malerei jedenfalls schon lange dort angekommen, wohin sich die Philosophie im Ausloten des diffizilen Verhältnisses von Innerlichkeit und Außenwelt erst mühsam hinbewegt.

Ulrich Tragatschnig